Stefanie Klever
Den Haag - Urbanität. Strandleben. Weinbau.
Aktualisiert: 6. Nov. 2018
Den Haag.
Aufgewachsen als Großstadtkind, verbrachte ich meine Kindheit inmitten einer der größten Metropolregionen Deutschlands. Wie schön war es da, die Großeltern in den Niederlanden zu wissen! Dort, wo ich nicht auf Hinterhöfen spielte, verbrachte ich eine der schönsten Zeiten meines Lebens.
Es gibt viele Orte auf der Welt an die ich gerne zurückkehre, aber nur wenige in denen ich auch Leben möchte. Sie kennen das Gefühl...ein paar Monate auf Hawaii, einige Wochen in Paris, ein paar Tage in Los Angeles, ein Jahr in Perth... Ich wäre dabei! Etwas exotischer wird es dann schon, wenn ich mein Umfeld wissen lasse, dass ich auch nichts gegen einige Zeit in Reykjavík, Nuuk oder gar Den Haag hätte.

"Den Haag? Wo war das nochmal? Ähm....Strafgerichtshof, oder? Ja genau! Den die USA nicht anerkannt haben, richtig? Stimmt auch!" Und wieso nicht Amsterdam?
Mit Amsterdam werde ich einfach nicht warm. Zwischen Grachten und Gras blüht mein Herz nicht auf. Den Haag zeigt sich vielfältiger. Mit den abgefahrensten Museen (Voorlinden, Mesdag, Escher...), den coolsten Galerien (Noordeinde), den besten Antiquitätenmärkten (Lange Voorhout), dem entspanntesten Strandleben (De Staat), dem köstlichsten Frühstück (SamSam), dem altehrwürdigstem Hotel (dem sich sogar Anna Pawlowa hingab, und das ich mir nicht leisten kann), und dem experimentellsten Weingut der Niederlande!
Zugegeben, die vielen Superlative deuten auf Größenwahn hin. Doch diesen suchen sie in Den Haag vergebens. Den Haag ist Understatement pur! Die Haager wissen um Ihren Einfluss in der Welt, sie würden es Ihnen nie auf die Nase binden. Ein Grund mehr Den Haag zu lieben. Ein anderer lässt sich gerade am Hildebrandplein mitten in der Stadt erahnen.
Unweit der Bahnlinie hat sich dort vor einigen Jahren das erste und bislang einzige Haager Stadt-Weingut angesiedelt. Eine Kooperation aus 10 engagierten Weinliebhabern hat es sich zur Aufgabe gemacht, den Weinbau im Stadtgebiet sesshaft zu machen. Der Spaß und die Freude an der Arbeit sind fester Bestandteil der Statuten, so präsentiert sich das Weingut als ausgesprochen freundlicher Ort mit herzlichen Begegnungen und typisch niederländischer "Gezelligheid".
Angebaut werden die Sorten Rondo und Johanniter. Beides ertragreiche Sorten, die nur geringe Ansprüche an den Boden stellen. In einer Stadt, die ausschließlich auf Sand erbaut ist, eine kluge Wahl. Gedüngt wird mit dem Pferdemist der königlichen Stallungen - wir sind immerhin in Den Haag! Erfreulicherweise verzichtet man auf jegliche Bewässerung, was ich schon im Grundsatz sehr begrüße. Der Ertrag verringert sich dadurch natürlich stark, die Fruchtnuancen kommen aber deutlich besser zur Geltung. Die Klärung erfolgt durch Bentonit ohne Zugabe von Gelatine, ein Verfahren dass sich immer mehr durchsetzt, und auch für die Veganer toll ist, jedoch erfahrungsgemäß nicht immer zuverlässig wirkt. Da die Reben nicht gespritzt werden, hat der Wein Bio Qualität. Auf die Zertifizierung hat man verzichtet. Understatement eben!
Wir sind in Den Haag.
Sprechen wir an dieser Stelle nicht von Reintönigkeit, oxidierten Aromen oder Kirchenfenstern. Für die Weinwelt sind die Niederlande eigentlich kaum existent. Wir Weinmenschen sollten an genau diesem Punkt das Engagement für unser Thema und die Freude am Weinbau loben. Der Old-School Charme des Haagse Stadswijngaards bringt uns Weinmenschen an die Anfänge zurück. Sicherlich ist in der Qualität noch viel Luft nach oben möglich, aber darum geht es hier auch eigentlich nur am Rande. Den Weinbau in die schwierigsten Regionen zu bringen, sich auszuprobieren und auch mit kleinem Geld eine nennenswerte Auflage zu erzeugen, all dies ist bei uns Fachmenschen kaum noch präsent. Kommerz, hohe Erträge und ein gnadenlos unrealistischer Preiskampf bestimmen so manchen Arbeitsalltag im Weingeschäft.
Meine Lieben, wehret den Anfängen, probiert Euch aus und schaut nach Den Haag!
Stefanie Klever Mai 2018